Die Rissstelle: oben die Anseilseite unten die Sicherungsseite

Seilriss – Nachtrag

Hier nun der im Beitrag Im Roten Sandstein der Pfalz vom Mai 2015 versprochene Nachtrag mit einigen Details zu meinem Seilriss in der Pfalz.

Was war passiert?

An unserem ersten Klettertag in der Pfalz stieg ich in die Direkte Herbstroute (6+ E1) am Backelstein ein. Der Kletterführer mahnt: „E1 sind nur die ersten kraftvollen Meter“: ein steiler Mix aus Hangelrippe (Piazrippe) und Verschneidung. Um den unangenehmen Einstieg trotzdem abzusichern, legte ich einen 5er Friend ca. 3 Meter über dem Boden hinter die Hangelrippe. Als ich die Füsse auf Höhe des Friends hatte, rutschte mein linker Fuss aus der Verschneidung und ich stürzte bis auf den Boden. Während des Sturzes war ein deutlicher Ruck zu spüren aber entgegen der ersten Erwartung, dass der Friend rausgekommen sei, hing dieser noch an Ort und Stelle. Dafür hing an meinem Gurt nur noch ein 60cm langes Seilende. Das Seil war komplett durchtrennt.

Nachuntersuchung

Das Seil, das zuvor nur zwei Tage im Klettereinsatz war, wurde vom Hersteller Edelrid im Nachherein an zwei Stellen statisch und dynamisch getestet. Einmal kurz hinter der Bruchstelle und einmal am anderen, unbeteiligten Seilende. Beide Enden verhielten sich annähernd gleich. Beim statischen Test lag die Kraft bei ca. 2000 daN, als es zum Seilriss kam. Die dynamische Prüfung mit 80kg Sturzgewicht bei einer Fallhöhe von 4.8m auf 2.8m Seil ergab, dass beide Enden vier Stürze aushielten bevor es beim fünften Sturz zum Seilriss kam. Ausserdem wurde die Rissstelle mikroskopisch untersucht. Es wurde festgestellt, dass etwa 90% aller Fasern von Kern und Mantel durchschnitten waren und nur die restlichen 10% Schmelzspuren aufwiesen und daher durch Zugkraft gerissen sind.

Das Fazit von Edelrid, dem auch ich mich anschliesse, lautet: „Die Ergebnisse der dynamischen und statischen Prüfungen zeigen keine Auffälligkeiten. Es ist ein vergleichbares Verhalten an der Bruchstelle zum am anderen Seilende zu beobachten. Auch die absoluten Werte sind durchschnittlich (dynamisch) bis sehr gut (statisch) und sind weit entfernt von sicherheitsgefährdenden Werten. Ein Material- oder Verarbeitungsfehler kann definitiv ausgeschlossen werden.

Erklärungsversuch

Wie konnte es also passieren, dass ein fast neues Seil ohne Materialfehler bei einer scheinbar so kleinen Sturzbelastung komplett reisst? Wie auf dem Bild zu sehen ist, lenkt der tief hinter dem Pfeiler liegende Friend das Seil so ungünstig um, dass es beim Sturz über die Kante schleift.

Das Profil der Kante ist auf dem Bild zu sehen. Augenscheinlich ist es keine sehr scharfe Kante. Auch macht die feine Körnung des Pfälzer Sandsteins keinen aggressiven Eindruck. Schaut man sich das Bild der Kante genauer an, ist aber ein kleiner Kiesel zu sehen, der knapp seitlich aus der Kante hervorsticht. Kann es sein, dass dieser kleine Kiesel dem Seil so stark zusetzen kann?

Wir stellten die ganze Situation noch einmal so genau wie möglich nach und machten das folgende Video. Es ist deutlich zu erkennen, dass sich das Seil am Kiesel kurz aufhängt und anschliessend über eine Länge von etwa 30cm über die Kante schleift. Kommt jetzt noch Sturzenergie dazu, so ist es in meinen Augen recht wahrscheinlich, dass der Mantel zuerst vom Kiesel sehr stark geschädigt wurde. Die Position des Kiesels und die Tatsache, dass es kaum eine Seildehnung gab, waren verantwortlich dafür, dass genau der geschädigte Teil vom Seil über die Kante schliff. Ausserdem ist die Kante nicht genau senkrecht sondern ganz leicht abfallend, so dass über die gesamte Schleiflänge ein sehr grosser Reibungswiderstand wirkte. Anika sicherte, wie bei einem bodennahen Sturz üblich, nicht dynamisch, so dass sich die Sturzenergie auch an dieser Stelle nicht verminderte. Dies alles führte in meinen Augen dazu, dass das Seil am Ende tatsächlich gerissen ist.

Fazit

  • Zum Glück ist bis auf einen riesigen Schreck und kleine Schrammen alles nochmal gut gegangen
  • Wieder was gelernt:
    • Scharfkanteneinflüsse treten nicht nur im Granit oder Kalk auf. Auch Kiesel und runde Sandsteinkanten können einem Seil gefährlich werden.
    • Nicht nur horizontale Kanten sind für ein Seil potenziell gefährlich.
    • Seile halten sehr viel – aber auch nicht alles – aus.

 

Daher: Verlängern, verlängern und nochmals verlängern um einen störungsfreien Seilverlauf, wo immer möglich, zu gewährleisten. Aber in bodennahen Situationen ist es manchmal sehr schwierig, genau abzuwägen. Hätte ich den Friend so verlängert, dass das Seil optimal läuft, dann wäre ich ungebremst auf den Boden gefallen: 6+ E1 eben.