Wir beziehen Quartier auf dem Jugendzeltplatz der Gemeinde Hauenstein. Eine riesige gepflegte Wiese im Wald mit einem super Sanitärtrakt und kleiner Küche. Normalerweise finden hier Jugendcamps mit bis zu 500 Teilnehmern statt – wir sind aber mal wieder die einzigen. Am Abend kommt Oma Sissi mit ihrem Auto an, dass bis unter das Dach vollgestopft ist mit Essen. Die Warnung, wir hätten keinen Kühlschrank und einen Supermarkt ist gleich um die Ecke wird von Sissi gerne überhört und stellte sich ja auch als falsch heraus. Die Zeltplatzküche verfügt über mehrere Kühlschränke – von denen Sissi gleich mal zwei füllte, inklusive Frostfach. Aber was soll‘s – wir hatten eine grosse Wunschliste mit Sandsteinklassikern, gutes Wetter und einen Babysitter – da sollten wir schon genügend Kalorien am Fels verbraten können. Es sollte alles ein bisschen anders kommen.
Am nächsten Morgen warten wir noch den letzten Nieselregen der Nacht ab und machen uns entspannt auf, zum nah gelegenen Backelstein. Durch seine beachtliche Talseite verlaufen einige sehr lohnende und lange Klassiker. Wir steigen sogleich in die Grosse Südverscheidung (5+ E1) – kein Haken auf 40 Meter fast senkrechter Verschneidung – willkommen in der Pfalz. Die Kletterei ist sehr schön, aber eine leichte Aufwärmtour ist doch was anderes – vor allem mental. Der nächste Weg sollte etwas entspannter werden: Direkte Herbstroute (6+ E1). Die ist zwar schwieriger, aber mit 9 Ringen auf 40 Metern sollte es wohl zu schaffen sein. Blöd nur, dass der erste Ring auf fast 10 Metern steckt und der Kletterführer mahnt: „E1 sind nur die ersten kraftvollen Meter“. Der Anfang ist ein steiler Mix aus Hangelrippe und Verschneidung. Nicky geht ja lieber mit etwas zu viel als zu wenig Metall im Rucksack an den Fels, hat deshalb einen passenden 4er Friend für die ersten Meter parat, legt diesen weit hinten und steigt frohen Mutes ein. Wahrscheinlich war der Fels am Einstieg doch feuchter als erwartet – fest steht aber: völlig unerwartet ging es auf einmal abwärts (Nicky denkt: ui ui ui). Bald kommt ein deutlicher Ruck (ah, der Friend) doch sofort geht es weiter (hm – hätte nicht gedacht das der Friend rauskommt) und dann kommt schon der Boden (ah, uh, aua). Es geht noch ein paar Meter den Hang abwärts über Wurzeln und Blöcke und dann ist Ruhe – ein gespanntes In-den-Körper-Hören (phff – fühlt sich unerwartet gut an). Nicky rappelt sich auf und schaut erst nach oben und dann ungläubig nach unten (krass was soll das denn!???!!?? wtf). Der Friend hängt noch immer oben an Ort und Stelle aber unten am Gurt hängt kein 70m Seil mehr sondern nur noch ein kurzer Rest mit ausgefransten Enden: das Seil ist gerissen.
Für alle Kletterkundigen die es näher interessiert, wird es später noch einen genauen Bericht geben – allen anderen sei versichert, dass es extrem selten zu Seilrissen kommt – diese aber noch seltener überlebt werden. Dem aufmerksamen Blogleser wird es vielleicht in Erinnerung sein: erst vor wenigen Tagen haben wir ein neues Seil aus Basel mitgenommen. Dementsprechend hat unser Tatendrang erst mal einen grossen Dämpfer erhalten. Wir fahren zurück auf den Zeltplatz und so richtig kommt trotz der leckeren Spargelmahlzeit kein Appetit auf. Im Kopf kreist immer wieder die Frage: Wie konnte das passieren? Auf der Suche nach Antworten schreiben wir abends eine Mail an den Seilhersteller und den Sicherheitskreis des Deutschen Alpenvereins.
Am nächsten Tag hängt immer noch ein etwas komisches Gefühl in der Magengegend und daher lassen wir die klassischen Touren aussen vor und gehen zu den Luger Geiersteinen, wo es fast sportklettermässig abgesicherte Wege in tollem Sandstein gibt. Wir klettern ein paar Perlen, wie den Luger Torweg (7-) oder den Sonnenweg (7) – aber das Klettern fühlt sich irgendwie nicht so toll an.
Am nächsten Morgen bekommen wir einen Anruf vom Hersteller Edelrid aus dem Allgäu, der sich sehr interessiert zeigt, und wir schildern unseren Fall. Wir werden gebeten, nicht weiter mit dem Seil zu klettern und uns wird ein Ersatzseil per Express zugestellt. Ausserdem verabreden wir für die nächste Woche beim Hersteller einen Termin, um unser Seil zur Analyse abzugeben und den Vorfall zu beschreiben. Daher legen wir einen Ruhetag ein und besuchen das recht interessante Deutsche Schuhmuseum. Am Nachmittag kehren wir an den Backelstein zurück und dokumentieren Hergang und Unfallstelle so genau wie möglich.
Tags darauf können wir unser neues Seil in Empfang nehmen und fahren zum Luger Friedrich, der mit ca. 70m die höchste Wandhöhe in der Pfalz aufweist. Wir klettern zwei schöne lange Wege auf der Talseite und noch einen recht fotogenen auf der kurzen Bergseite, die auch noch eine spektakuläre Abseilstelle bietet. Die Routen sind ganz gut gesichert, erfordern aber hier und dort noch die Ergänzung durch mobile Sicherungen – so weit über dem Talboden fühlt sich das noch immer etwas komisch an. Das Oma-Enkel-Gespann vergnügt sich unterdessen am Wandfuss oder dem gegenüberliegenden Aussichtsfelsen. Dann steht auch leider schon der letzte Klettertag in der Pfalz an – erklärtes Ziel ist es, dass auch Sissi mal wieder klettert. Aber ganz anders als im sächsischen Sandstein gibt es nicht gerade viele leichte und lohnende Touren. Wir entscheiden uns für den Haselstein und verbringen einen schönen Klettertag etwas abseits der Massen und geniessen zum Abschluss ein prächtiges Panorama. Von unserer grossen Tourenwunschliste konnten wir nur sehr wenig abhaken, aber den Umständen entsprechend hatten wir doch ein Riesenglück im Unglück, eine sehr schöne Zeit miteinander und kommen bestimmt wieder.
Sissis grosse Essensvorräte sind natürlich nicht annähernd verzehrt, obwohl wir jeden Tag aufs Beste bekocht wurden und es Kuchen zu jeder Tageszeit gab. So verladen wir alles in unseren Bus und verabschieden uns, denn als nächstes steht das Zillertal in Österreich an, wohin auch einige Horzelbuben kommen wollen.